Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung des Merkzeichens „H“ (hilflos).
Sie ist 1984 geboren und erlitt im Alter von zwei Jahren eine Hirnhautentzündung, die zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Hörvermögens führte. 2006 hat sie begonnen Humanmedizin zu studieren und das Studium im Sommersemester 2020 nach 28 Fachsemestern abgeschlossen. Seit dem 1. September 2020 ist sie im Rahmen der Facharztausbildung befristet im Krankenhaus G beschäftigt. Sie hat zwei 2018 und 2021 geborene Kinder.
Auf ihren Erstantrag vom 10. November 1989 stellte das Versorgungsamt H mit Bescheid vom 29. November 1989 unter Berücksichtigung einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beidseits und einer Sprachentwicklungsstörung einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 seit dem 1. April 1989 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), „B“ (ständige Begleitung), „H“ und „RF“ (Rundfunkgebührenbefreiung bzw. -ermäßigung) fest.
Mit Schreiben vom 15. Oktober 2015 hörte das Landratsamt R (LRA) zu einer Entziehung der Merkzeichen „G“, „B“ und „H“ an (§ 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). Bei angeborener oder im Kindesalter erworbenen Taubheit und an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit seien die Merkzeichen „G“ und „B“ in der Regel bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres begründet. Das Merkzeichen „H“ sei ab Beginn der Frühförderung und dann – insbesondere wegen des in dieser Zeit erhöhen Kommunikationsbedarfs – in der Regel bis zur Beendigung der Ausbildung anzunehmen. Die Voraussetzungen für die Merkzeichen „RF“ und „Gl“ (Gehörlos) seien weiter erfüllt, in der Höhe des GdB trete keine Änderung ein.
Mit Bescheid vom 25. November 2015 hob das LRA den Bescheid vom 29. November 1989 auf. Die Voraussetzungen für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen „G“, „B“ und „H“ lägen ab dem 28. November 2015 nicht mehr vor. Mit der Gesetzesänderung zum 1. Juli 2001 sei die Möglichkeit der Feststellung des Merkzeichens „Gl“ geschaffen worden. Dieses sei anzuerkennen, da Gehörlosigkeit vorliege. Das Merkzeichen „RF“ bleibe bestehen, der GdB betrage weiterhin 100.
Im Widerspruchsverfahren holte das LRA den Befundschein des M ein, der ausführte, dass die Klägerin schon im Jahr 2004 über Gleichgewichtsstörungen und ein Druckgefühl auf den Ohren geklagt habe. Eine Überprüfung der Funktion der Gleichgewichtsorgane habe damals keinen krankhaften Befund ergeben. Während der übrigen Konsultationen sei gelegentlich über Schwindel geklagt worden. Zur Aufrechterhaltung der Gleichgewichtsfunktion sei auch das Hörvermögen verantwortlich, hierauf könne die Klägerin nur sehr eingeschränkt bauen. Vor diesem Hintergrund seien die Beschwerden zu interpretieren.
M1 legte versorgungsärztlich dar, dass nach Vollendung des 16. Lebensjahres die Voraussetzungen für die Merkzeichen „G“ und „B“ nicht mehr vorlägen. Der beschriebene Schwindel bedinge keine Merkzeichen. Die Klägerin absolviere ein Medizinstudium und stehe kurz vor dem Abschluss. Falls es sich dabei um die berufliche Erstausbildung handele, stünde nach Abschluss des Studiums das Merkzeichen „H“ ab Februar 2016 nicht mehr zu.
Mit Teil-Abhilfebescheid vom 13. Juni 2016 half das LRA dem Widerspruch teilweise dahingehend ab, dass das Merkzeichen „H“ weiterhin festgestellt wurde. Die Merkzeichen „Gl“ und „RF“ stünden weiterhin zu, die Merkzeichen „G“ und „B“ ab dem 28. November 2015 nicht mehr.
Den Widerspruch im Übrigen wies das Regierungspräsidium S – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2016 zurück. Die hiergegen am 15. September 2016 beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhobene Klage (S 2 SB 2832/16) wurde mit Gerichtsbescheid vom 21. Dezember 2017 abgewiesen.
Im beim Senat geführten Berufungsverfahren (L 6 SB 521/18) legte die Klägerin in der nichtöffentlichen Sitzung vom 22. Oktober 2018 (vgl. Protokoll) die ärztliche Bescheinigung der in Weiterbildung L vom 10. Oktober 2018 vor. Diese beschrieb, dass obwohl die Klägerin bereits im zweiten Lebensjahr erkrankte, eine außergewöhnlich gute Sprachentwicklung vorliege. Nur wenige inkorrekte Lautbildungen ließen für Ungeschulte ein Hördefizit bei der Klägerin vermuten. Die Klägerin müsse bereits zum Zeitpunkt der Meningitis eine für das damalige Alter überdurchschnittliche Sprachentwicklungsstufe erreicht und durch weitere Kompensationsmechanismen (z. B. Lippenlesen) später ihr Sprachvermögen weiter ausgebaut haben. In ihrer ergänzend eingeholten sachverständigen Zeugenauskunft teilte sie mit, dass sie die Klägerin nicht behandelt habe, sondern sie in ihrer Bescheinigung Bezug genommen habe auf die Ergebnisse der standardisierten Untersuchungen, die klinische Beobachtung und auf anamnestische Angaben der Klägerin. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 26. September 2019 wurde die Berufung, nach Hinweis auf die fehlenden Erfolgsaussichten, zurückgenommen.
Nachdem die Klägerin mitteilte, sich in einer beruflichen Weiterbildung zur Fachärztin zu befinden, die fünf bis sieben Jahre dauern werde, führte M1 versorgungsärztlich aus, dass das Medizinstudium erfolgreich beendet, die Erstausbildung damit abgeschlossen sei.
Nach Mitprüfung durch das Regierungspräsidium S – Landesversorgungsamt –, dass die Facharztweiterbildung nicht als Erstausbildung im vergleichbaren Sinne ansah (vgl. Schreiben vom 3. November 2020), hörte das LRA die Klägerin zum Entzug des Merkzeichens „H“ an (Schreiben vom 6. November 2020).
Hierzu machte die Klägerin geltend, dass zum Erwerb der Kassenzulassung ein Facharzt vorausgesetzt werde. Bis dahin befinde sie sich in ständiger Weiterbildung, sodass die Voraussetzungen weiter gegeben seien.
Mit Bescheid vom 8. Dezember 2020 änderte das LRA die Bescheide vom 29. November 1989 und 13. Juni 2016 ab und stellte fest, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens „H“ ab dem 11. Dezember 2020 nicht mehr vorlägen. Die Merkzeichen „Gl“ und „RF“ blieben festgestellt, der GdB betrage weiter 100. Bei angeborener oder im Kindesalter erworbener Taubheit und an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit bestehe Hilflosigkeit ab Beginn der Frühförderung und dann – insbesondere wegen des in dieser Zeit erhöhten Kommunikationsbedarfs – in der Regel bis zur Beendigung der ersten Ausbildung. Zur Ausbildung zählten in diesem Zusammenhang der Schul-, Fachschul- und Hochschulbesuch, eine berufliche Erstausbildung und Weiterbildung sowie vergleichbare Maßnahmen der beruflichen Bildung. Die Ausbildung sei zwischenzeitlich abgeschlossen, sodass die angekündigte Vorlage eines HNO-ärztlichen Attestes nichts an der Feststellung der Gehörlosigkeit ändere. Eine im Anschluss an die Erstausbildung erfolgende Facharztweiterbildung sei keine Erstausbildung im vergleichbaren Sinne.
Gegen den Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, dass die Facharztausbildung einen wesentlichen Baustein darstelle, da sie als Assistenzärztin nicht alleine arbeiten dürfe. Die Aufnahme ins Arztregister der Kassenärztlichen Vereinigung sehe die Approbation als Arzt und eine allgemeinmedizinische Weiterbildung oder die Weiterbildung in einem anderen Fachgebiet vor. Die Facharztausbildung stelle noch höhere Anforderungen, aktuell werde geprüft, ob sie eine medizinisch ausgebildete Assistenz benötige oder in ein Fachgebiet mit weniger Anforderungen an das Hörvermögen wie Pathologie oder Rechtsmedizin wechseln müsse. Die Facharztausbildung dauere wahrscheinlich sechs Jahre, mit einer Verlängerung der Ausbildungsdauer sei zu rechnen, da das Medizinstudium bei ihr bereits länger gedauert habe.
Nachdem S1 versorgungsärztlich an den bisherigen Einschätzungen festhielt, wies das Regierungspräsidium S – Landesversorgungsamt – den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 6. April 2021 zurück. Hilflos sei eine Person, wenn sie für eine Reihe häufig und regelmäßig wiederkehrender Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfe. Diese Voraussetzungen seien auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich sei oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werde müsse, aber eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich sei. Zu diesen Verrichtungen gehörten insbesondere das An- und Auskleiden, Essen, Trinken, Aufsuchen der Toilette sowie die Körperpflege, nicht aber Verrichtungen, die mit der Pflege und Wartung der Person nicht unmittelbar zusammenhingen. Die Notwendigkeit fremder Hilfe bei einzelnen Verrichtungen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und täglich mehrmals täglich erforderlich würden, begründe keine Hilflosigkeit.
Am 6. Mai 2021 hat die Klägerin erneut Klage beim SG erhoben. Die medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „H“ dürften unstreitig sein, sie habe ihre Ausbildung bislang nicht abgeschlossen. Vielmehr stelle die Facharztausbildung einen wesentlichen Baustein bei der Ausbildung zum Arzt dar. Als Assistenzärztin dürfe sich nicht alleine arbeiten, sodass weiterhin ein der Ausbildung entsprechender Unterstützungsbedarf vorhanden sei.
Nachdem die Klägerin zur ersten nichtöffentlichen Sitzung unter nachträglicher Vorlage eines am 13. Oktober 2021 ausgestellten ärztlichen Attestes über eine Arbeitsunfähigkeit am 12. Oktober 2021 nicht erschienen ist, hat sie die Verlegung des auf dem 28. Oktober 2021 anberaumten Termins beantragt, da es ihr die Risikoschwangerschaft nicht erlaube, länger als wenige Minuten auf den Beinen zu sein. Der Eintritt von Verhandlungsfähigkeit vor der Entbindung sei daher unwahrscheinlich.
Mit Beschluss vom 8. November 2021 hat das SG das Verfahren zunächst ruhend gestellt, welches vom Beklagten am 21. Februar 2022 wieder angerufen worden ist. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits mit Urteil vom 12. November 1996 – 9 RVs 9/95 – entschieden, dass der Abschluss einer berufsqualifizierenden Ausbildung, gleichgültig, in welchem Lebensalter er erreicht werde und gleichgültig, ob es sich um eine Lehre, eine Fachschul- oder ein Hochschulstudium handele, das Ende des „Beginns der Frühförderung“ markiere. Von diesem Zeitpunkt an lasse sich Hilflosigkeit nicht mehr allgemein annehmen, sondern nur noch aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall begründen. Durch den erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung zeige ein Gehörloser, dass er die erworbenen Verständigungsmöglichkeiten in einem wichtigen Lebensbereich zu nutzen verstehe. Damit sei es regelmäßig ausgeschlossen, seine Behinderung als prägend für die gesamte Lebensführung und damit ihn selbst als hilflos im Sinne des Steuerrechts anzusehen. Diese Rechtsprechung habe das BSG mit Urteil vom 10. Dezember 2003 – B 9 SB 4/02 R – fortgesetzt. Danach bedürfe es besonderer Umstände, um nach Abschluss der beruflichen Erstausbildung weiterhin eine dauerhafte kommunikative Hilfe annehmen zu können. Ausweislich der Ausführungen der L im vorangegangenen Verfahren liege bei der Klägerin eine außergewöhnlich gute Sprachentwicklung vor, es bestünden nur wenige inkorrekte Lautbildungen. Durch weitere Kompensationsmechanismen habe sie ihr Sprachvermögen weiter ausgebaut. Eine dauerhaft erforderliche Hilfe bei der Kommunikation, die für die gesamte Lebensführung prägend sei, lasse sich daraus nicht ableiten.
Die Klägerin hat daraufhin die Beiziehung der Vorakte L 6 SB 521/18 beantragt. Nach ihrer Erinnerung sei die Verwendung dieser Bescheinigung im seinerzeitigen Verfahren als unzulässig erachtet worden. Deshalb scheide eine Verwendung auch im vorliegenden Verfahren aus. Weiter hat sie den Befundbericht der B vom 13. Mai 2022 vorgelegt. Danach habe sich eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit rechts und eine Taubheit links gezeigt. Die Untersuchung mit der Frenzelbrille habe keine Ruhe-, Blickrichtungs- oder Provokationsnystagmen ergeben. Aufgrund der Befunde werde die regelmäßige HNO-ärztliche Kontrolle sowie die Überprüfung der Hörgeräte empfohlen. Des Weiteren solle eine Lichtklingelanlage rezeptiert werden. Wegen der im Alltag auftretenden Gleichgewichtsprobleme bei öffentlichen Verkehrsmitteln und bei Dunkelheit sei die Klägerin erneut um Vorsicht gebeten und darauf hingewiesen worden, dass sie auf Hilfe angewiesen sei. Es gelte, sekundären gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die aus der Erkrankung oder anderen Umständen heraus auftreten könnten, präventiv vorzubeugen.
In der mündlichen Verhandlung vom 23. Mai 2022 (vgl. Protokoll) hat das SG die Klägerin persönlich angehört. Sie hat angegeben, dass man nach dem Medizinstudium kein Arzt mit Erfahrung sei. Wie man eine Patientenanamnese erhebe, lerne man während der Facharztausbildung, nicht im Studium. Die Kommunikation sei eine große Herausforderung, mittlerweile verfüge sie über Bluetooth, sodass eine Übertragung auf ihre neuen Hörgeräte möglich sei. Sie müsse erst lernen, mit den Hilfsmitteln umgehen. Als Arzt dürfe sie keine Fehler machen. Manche Hilfsmittel seien noch nicht richtig ausgereift. Seit Beginn der Corona-Pandemie sei es ihr nicht mehr möglich, von den Lippen abzulesen. So komme es zu Problemen bei Visiten, da die Patienten auch Masken tragen müssten. Bei Arztbesprechungen liege ihr Mikrofon in der Mitte, gleichwohl sei es für sie schwierig alles zu verstehen. Sie müsse hinterher immer das eine oder andere nachfragen. Im Operationssaal komme es regelmäßig zu Schwierigkeiten, da dort regelmäßig Maskenpflicht bestehe.
Mit Urteil vom gleichen Tag hat das SG die Klage abgewiesen. Der Klägerin sei nach Abschluss ihres Medizinstudiums nicht mehr zu bescheinigen, dass sie hilflos sei. Das Merkzeichen „H“ sei deshalb zu Recht entzogen worden. Bestehende Schwindelerscheinungen hätten bei der Vergabe des Merkzeichens keine Rolle gespielt, daneben sei zu konstatieren, dass die „Sprachentwicklungsstörung“ eine wesentliche Änderung erfahren habe. Dieser komme keine Relevanz mehr zu, wovon sich die Kammer in der mündlichen Verhandlung habe überzeugen können. Darüber hinaus könne der Behinderung „an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beidseits“ nicht herangezogen werden, um das Merkzeichen „H“ zu belassen, selbst wenn man mit B von einer Taubheit links und einer an Taubheit grenzenden Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts ausginge.
Die Klägerin habe ihr Studium der Humanmedizin nach 28 Semester beendet und damit ihre Ausbildung abgeschlossen. Aus der Facharztausbildung ergebe sich nichts anderes, da diese zwar für eine Kassenzulassung notwendig sei, nicht aber, um beruflich tätig werden zu können. Es komme eine Berufsausübung im Pharma- oder Medizintechnikbereich, in der Forschung oder Wirtschaft in Betracht, ebenso eine Niederlassung als Privatärztin.
Der während der Ausbildung zu erfolgenden Zuerkennung des Merkzeichens „H“ sei in hinreichendem Maße Rechnung getragen worden, indem es der Klägerin bis zum 36 Lebensjahr belassen worden sei. Damit habe sie über viele Jahre hinweg die Möglichkeit gehabt, sich an den erhöhten Kommunikationsbedarf anzupassen. Damit gehe einher, dass sie Auto fahre, die Erziehung zweier 2018 und 2021 geborener Kinder schultere, von den Lippen ablesen könne und ein in allen Belangen selbstbestimmtes Leben führe.
Das Merkzeichen stehe nicht deshalb weiter zu, weil zur Ausbildung eine berufliche Weiterbildung gehören könne. Denn Hilfen seien längst nicht mehr in dem Umfang notwendig, der zu Beginn des Studiums zu erbringen gewesen sei, als an das Erlernen von Fertigkeiten erhöhte Anforderungen zu stellen gewesen sei. Die Kammer verkenne nicht, dass es der Klägerin wegen der Maskenpflicht schwerer falle sich zu verständigen. Andererseits verfüge sie über moderne Hochleistungshörgeräte, besitze Mikrofone sowie ein Handy mit Bluetooth und Direktübertragung auf die Hörgeräte.
Im Übrigen komme dem Umstand, dass im Operationssaal Maskenpflicht bestehe und es deshalb dort ebenfalls zu Kommunikationsschwierigkeiten kommen könne, keine Relevanz zu. Denn zum einen habe dies mit der Corona-Pandemie nichts zu tun, sondern habe der Klägerin bereits bei Beginn ihres Studiums bewusst sein müssen. Zum anderen sei aufgrund der ihr erteilten Approbation nicht in Frage zu stellen, dass sie in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs einer Ärztin geeignet sei (Verweis auf § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Bundesärzteordnung).
Dies stehe mit der Rechtsprechung des BSG in Einklang, in der darauf hingewiesen werde, dass ein Mehraufwand in der Lebensspanne, in der Lernen, Kenntnis- und Fähigkeitserwerb zu den zentralen Verrichtungen des täglichen Lebens gehörten, also bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, bis zum Abschluss ihrer Ausbildung offensichtlich sei (Verweis auf BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 – 9/9a RVs 1/91 –). Weiter sei entschieden worden, dass ein Hörgeschädigter während der Ausbildung nur deshalb hilflos bleibe, da das Informationsbedürfnis in dieser Lebensphase deutlich gesteigert sei. Der Abschluss einer berufsqualifizierenden Ausbildung markiere, gleichgültig, in welchem Lebensalter er erreicht werde, und gleichgültig, ob es sich um eine Lehre, ein Fachschul- oder ein Hochschulstudium handele, das Ende der seit „Beginn der Frühförderung“ bestehenden Hilflosigkeit. Von diesem Zeitpunkt an lasse sich Hilflosigkeit nicht mehr allgemein annehmen, sondern nur noch aufgrund besonderer Umstände. Durch den erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung zeige ein Gehörloser, dass er die erworbenen Verständigungsmöglichkeiten in einem wichtigen Lebensbereich zu nutzen verstehe. Damit sei es regelmäßig ausgeschlossen, seine Behinderung als prägend für die gesamte Lebensführung und damit ihn selbst als hilflos im Sinne des Steuerrechts anzusehen (Verweis auf BSG, Urteil vom 12. November 1996 – 9 RVs 9/95 –). Letztlich habe das BSG betont, dass es besonderer Umstände bedürfe, um nach Abschluss der beruflichen Erstausbildung weiterhin eine dauerhafte, kommunikative Hilfe von erheblicher täglicher Dauer annehmen zu können (Verweis auf BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 – B 9 SB 4/02 R –), die die Kammer nicht feststellen könne.
Die Klage sei deshalb abzuweisen, ohne dass darüber zu befinden gewesen wäre, ob die Bescheinigung der L vom 10. Oktober 2018 einem Verwertungsverbot unterliege. Den dortigen Darlegungen komme keine Bedeutung für den Rechtsstreit zu, da eine Rechtsfrage zu klären gewesen sei, für deren Beantwortung das Gericht und nicht eine Ärztin zuständig sei.
Gegen das am 21. Oktober 2022 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26. Oktober 2022 erneut Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und das Vorbringen aus dem Widerspruchs- und Klageverfahren wiederholt. Soweit erstinstanzlich davon ausgegangen werde, dass eine Facharztausbildung nicht zwingend sei, um nach Abschluss des Studiums der Humanmedizin beruflich tätig zu werden, sei dies zwar richtig, entspreche aber nicht ihren Wünschen. Nach Art. 25 Abs. 5 der UN-Behindertenrechtskonvention hätten die Vertragsstaaten sicherzustellen, dass für Menschen mit Behinderungen angemessene Vorkehrungen getroffen worden. In diesem Zusammenhang dürfe sie nicht darauf verwiesen werden, irgendeine Tätigkeit mit ihrem Hochschulstudium auszuüben, sondern sie sei bei der von ihr gewählten Ausbildung zu unterstützen. Die Entscheidung des BSG vom 23. Juni 1993 sei überholt.
Sie dürfe auch nicht auf die freiwillige Unterstützung der Kollegen verwiesen werden, dieser Unterstützungsbedarf umfasse mehrere Stunden täglich. Die vorhandenen technischen Hilfsmittel erreichten keinen umfassenden Behinderungsausgleich, da sie das Hören nicht ersetzen könnten und die ärztliche Tätigkeit in einem Krankenhaus oder an anderer Stelle das Tragen von Gesichtsmasken auf nicht absehbare Zeit erfordere. Deshalb sei es ihr im beruflichen Kontext nicht möglich Lippen zu lesen.
Es dürfe nicht verkannt werden, dass eine Gesprächssituation bei Gericht nicht mit einem ärztlichen Anamnese- bzw. Aufklärungsgespräch und der Kommunikation unter großem Stress in der Notaufnahme vergleichbar sei. Falsch verstandene Informationen hätten dort ggf. erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit der Patienten
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 23. Mai 2022 sowie den Bescheid vom 8. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. April 2021 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er verweist auf die angefochtene Entscheidung.
Der Senat hat die Vorakten S 2 SB 2832/16 und L 6 SB 521/18 beigezogen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.
Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 23. Mai 2022, mit dem die isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) auf Aufhebung des Bescheides vom 8. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 6. April 2021 abgewiesen worden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung des Sach- und Streitstandes ist bei dieser Klageart der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 33a; BSG, Urteil vom 13. August 1997 – 9 RVs 10/96 –, juris, Rz. 15; BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/15 R –, juris, Rz. 13).
Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 8. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. April 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Auch zur Überzeugung des Senats, ebenso wie des SG, hat der Beklagte zu Recht den Fortbestand der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens „H“ verneint und die feststellenden Bescheide aufgehoben. Das SG hat die Klage daher zu Recht abgewiesen.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten der Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Dabei liegt eine wesentliche Änderung vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, dass sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt – teilweise – aufzuheben und durch die zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1986 – 9a RVs 55/85 –, juris, Rz. 11 m. w. N.). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des – teilweise – aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der Überprüfung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 – B 9 V 2/10 R –, SozR 4-3100 § 35 Nr. 5, Rz. 38 m. w. N.).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedenfalls deshalb gegeben, da mit dem Abschluss des Studiums der Humanmedizin die Erstausbildung im Jahr 2020 im Alter von 36 Jahren abgeschlossen worden ist, sodass eine wesentliche Änderung gegenüber dem maßgebenden Vergleichsbescheid vom 29. November 1989 bzw. dem diesen bestätigenden Bescheid vom 13. Juni 2016 eingetreten ist. Dies hat das SG zutreffend und ausführlich dargelegt, sodass der Senat hierauf nach eigener Prüfung gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt und insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe absieht.
Das Berufungsvorbringen der Klägerin führt, auch in Ansehung von Art. 25 der UN-Behindertenrechtskonvention, zu keiner anderen Beurteilung, da sie die systematischen Zusammenhänge und begründeten Erwägungen insbesondere der VG, aufgrund derer sich die ursprüngliche Zuerkennung des Merkzeichens „H“ gerechtfertigt hat, nicht beachtet.
Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens „H“ ist § 152 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV). Danach treffen die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1, wenn neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind. Im Ausweis ist auf der Rückseite das Merkzeichen „H“ einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33b des EStG oder entsprechender Vorschriften ist. § 33b Abs. 3 Satz 4 EStG bestimmt, dass hilflos eine Person ist, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 4 genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist, § 33b Abs. 3 Satz 5 EStG.
Der Gesetzgeber hat sich dabei bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit nach §§ 14, 15 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) angelehnt, sondern wollte vielmehr deutlich machen, dass die steuer- und versorgungsrechtlich bedeutsame Hilflosigkeit von der versicherungs- und sozialhilferechtlich bedeutsamen Pflegebedürftigkeit unabhängig bleibt (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 – B 9 SB 1/02 R –, juris, Rz. 12). Die Fassung des Begriffs der Hilflosigkeit geht auf Umschreibungen zurück, die von der Rechtsprechung im Schwerbehindertenrecht bezüglich der steuerlichen Vergünstigung und im Versorgungsrecht hinsichtlich der gleichlautenden Voraussetzungen für die Pflegezulage nach § 35 BVG entwickelt worden sind. Dabei ist § 35 BVG seit seinem Inkrafttreten mehrfach neu gefasst worden, ohne dass sich der Maßstab für den Begriff „hilflos“ dadurch geändert hat (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 – B 9 V 3/01 R –, juris, Rz. 17).
Der in § 35 BVG geforderte Hilfebedarf liegt in jedem Falle dann vor, wenn sein Umfang mindestens zwei Stunden täglich erreicht. Ebenso wenig wie für den Begriff der Hilflosigkeit setzt das Gesetz eine zeitliche Grenze, von der an ein Pflegebedarf „außergewöhnlich“ ist. Ein solcher Grenzwert lässt sich jedoch aus der Gesetzgebungsgeschichte verbunden mit einem Blick auf die soziale Pflegeversicherung bestimmen. Das dort entwickelte und seit langer Zeit angewendete und bewährte System zur Quantifizierung des Pflegebedarfs ist auf das BVG zu übertragen und der „Umfang der notwendigen Pflege“ in erster Linie an dem täglichen Zeitaufwand für die notwendigen Betreuungsleistungen zu messen. Um den individuellen Verhältnissen des Beschädigten hinreichend Rechnung tragen zu können, erscheint es geboten, nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen, sondern auch den weiteren Umständen der Hilfeleistung insbesondere ihrem wirtschaftlichen Wert Bedeutung beizumessen. Dieser Wert wird wesentlich durch die Zahl und die zeitliche Verteilung der Verrichtungen mitbestimmt, bei denen fremde Hilfe erforderlich ist. Denn eine Hilfsperson kann regelmäßig nur für zusammenhängende Zeitabschnitte, nicht jedoch für einzelne Handreichungen herangezogen bzw. beschäftigt werden (vgl. BSG, Urteil vom 30. November 2006 – B 9a V 9/05 R –, juris, Rz. 11 ff.).
Zu den zu berücksichtigenden Verpflichtungen zählen zunächst die von der Pflegeversicherung in § 14 Abs. 4 SGB XI in der bis 31. Dezember 2016 geltenden Fassung (aF) genannten Verrichtungen in den Bereichen Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (selbstständiges Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Nicht umfasst werden indessen die hauswirtschaftliche Versorgung (§ 14 Abs. 4 Nr. 5 SGB XI [a. F.] – vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 1997 – 9 RV 19/95), während Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregung und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen, Fähigkeit zur Interaktion) zusätzlich zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 – B 9 V 3/01 R –, juris, Rz. 18; BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 – 9/9a RVs 1/91 –, juris, Rz. 19).
Letzteres ist durch § 45a Abs. 1 SGB XI (a. F.) im Übrigen auch berücksichtigt worden. Dieser bestimmte, dass Leistungen nach diesem Abschnitt Pflegebedürftige in häuslicher Pflege betrafen, bei denen neben dem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung gegeben war. Dies waren Pflegebedürftige der Pflegestufen I, II und III (Nr. 1) sowie Personen, die einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung hatten, der nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreichte (Nr. 2), mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, bei denen der MDK oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter im Rahmen der Begutachtung nach § 18 als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens festgestellt haben, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt haben. § 45a SGB XI (a. F.) hat damit einen nicht speziell verrichtungsbezogenen, deshalb bei der Bemessung des Pflegebedarfs nach § 14 SGB XI (a. F.) nicht zu berücksichtigenden allgemeinen Pflegebedarf umfasst (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Januar 2011 – L 5 P 36/10 –, juris, Rz. 14) und damit ebenso einen Betreuungsbedarf berücksichtigt.
Wiederkehrende Hilfe bei einer Reihe von Verrichtungen kann regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt. Daneben ist ein Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich. Dies richtet sich nach dem Verhältnis der dem Beschädigten ohne fremde Hilfe nicht mehr möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe noch bewältigen kann. In der Regel wird dabei auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen sein (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 – B 9 SB 1/02 R –, juris, Rz. 14). Die Erheblichkeit des Hilfebedarfs ist in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen. Nicht hilflos ist derjenige, der nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilfslosigkeit zu bejahen ist. Vielmehr ist ein Zeitaufwand erst dann hinreichend, wenn er mindestens zwei Stunden erreicht. Diese Grenzziehung soll den Bedürfnissen der Praxis Rechnung tragen. Da die Begriffe der Pflegebedürftigkeit und der Hilflosigkeit nicht völlig übereinstimmen (vgl. oben), können die zeitlichen Grenzwerte der sozialen Pflegeversicherung (§§ 14, 15 SGB XI [a. F.]) nur als gewisse Orientierungspunkte dienen. Immerhin decken sich die von beiden Begriffen erfassten Verrichtungsbereich insoweit, als es die sogenannte Grundpflege betrifft. Im Rahmen des § 35 BVG kommen noch die Bereiche der geistigen Anregung und Kommunikation hinzu, außerdem sind hier auch Anleitung, Überwachung und Bereitschaft zu berücksichtigen. Da im Hinblick auf den insoweit erweiterten Maßstab bei der Prüfung von Hilflosigkeit leichter ein größerer Zeitaufwand für fremde Betreuungsleistungen erreicht wird, als im Bereich der Grundpflege bei der Pflegeversicherung, liegt es nahe, hier von einer Zwei-Stunden-Grenze auszugehen, was dem Grundpflegeerfordernis für die – vormalige – Pflegestufe II der Pflegeversicherung entspricht (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 – B 9 V 3/01 R –, juris, Rz. 24 ff.).
Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin aufgrund ihrer Hörstörung schon deshalb nicht, weil sie nur zum Ausgleich ihrer Hörminderung der Unterstützung bedarf, also nicht für eine Reihe (mindestens drei, vgl. oben) häufig und regelmäßig wiederkehrender Verrichtungen. Alleine der Umstand, dass der Zeitaufwand für die notwendige Unterstützung durch Kollegen die anzunehmende Zwei-Stunden-Grenze überschreiten mag, begründet die Hilfslosigkeit damit nicht. Daneben muss die Hilfe zur Sicherung der persönlichen Existenz im Laufe eines jeden Tages erforderlich sein, was bei der Klägerin, die ein selbstbestimmtes Leben führen und insbesondere für zwei Kinder sorgen kann, nicht der Fall ist. Vielmehr sind bei ihr Hilfestellungen hauptsächlich im beruflichen Bereich nötig, was nach den aufgezeigten Maßstäben eine Hilflosigkeit nicht zu begründen vermag.
Nachdem das EStG weiterhin den Begriff der Hilflosigkeit verwendet und nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit anknüpft, ergeben sich keine Änderungen im Prüfungsmaßstab daraus, dass durch die Neufassung des § 14 SGB XI zum 1. Januar 2017 der Begriff der Pflegebedürftigkeit gänzlich neu gefasst worden ist und der Pflegegrad im Gegensatz zur vorherigen Pflegestufe nicht mehr anhand von zeitlichen Mindestanforderungen zu bewerten ist, sondern die qualitativen Mindestanforderungen gänzlich neu geregelt worden sind. Dementsprechend konnte und kann aus der Bejahung von Hilflosigkeit nicht auf Pflegebedürftigkeit geschlossen werden und folglich auch nicht umgekehrt. Dass mit dem ab 1. Januar 2024 geltenden § 72 Vierzehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XIV) im sozialen Entschädigungsrecht der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff des SGB XI ausdrücklich zum Maßstab gemacht wird und es eine dem § 35 BVG entsprechende Regelung dann nicht mehr gibt (vgl. zu Vorstehendem insgesamt: Meßling, in: jurisPK-SGB XI, 3. Aufl. 2021, §§ 14 Rz. 78 ff., 15 Rz. 3), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Vielmehr wird deutlich, dass nach § 72 SGB XIV die eigenständige Ausfüllung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit entfällt, wie es zuvor durch die „Hilflosigkeit“ in § 35 BVG der Fall war (vgl. Knickrehm/Mushoff/Schmidt, Das neue soziale Entschädigungsrecht – SGB XIV, 1. Aufl. 2020, Rz. 235), was die Eigenständigkeit des Tatbestandsmerkmals der „Hilflosigkeit“ unterstreicht. Hierauf kommt es im Falle der Klägerin aber schon deshalb nicht an, da bei ihr eine Pflegebedürftigkeit unter keinem Gesichtspunkt erkennbar ist.
§ 3 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAwV enthält, wie § 228 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX, einen identischen Verweis auf „entsprechende Vorschriften“, wozu die Bestimmungen zur Pflegezulage bei Hilfslosigkeit in § 35 Abs. 1 Satz 2 und 3 BVG zu rechnen sind. Nachdem § 30 Abs. 16 BVG die Hilflosigkeit ausdrücklich als möglichen Regelungsgegenstand einer Rechtsverordnung nennt, gelten für die Feststellung der Hilflosigkeit ergänzend die in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung geregelten VG, dort Teil A, Nr. 4 (vgl. zu § 228 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX: Masuch in: Hauck/Noftz, SGB IX, 08/17, § 228 Rz. 30). Danach ist für die Gewährung einer Pflegezulage im sozialen Entschädigungsrecht Grundvoraussetzung, dass Beschädigte infolge der Schädigung „hilflos“ sind (Buchst. a). Hilflos sind diejenigen, die infolge von Gesundheitsstörungen – nach dem SGB IX und dem EStG „nicht nur vorübergehend“ – für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfen. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (Buchst. b). Häufige und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages sind insbesondere An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Körperpflege sowie Verrichten der Notdurft. Außerdem sind notwendige körperliche Bewegung, geistige Anregung und Möglichkeiten zur Kommunikation zu berücksichtigen. Hilflosigkeit liegt im oben genannten Sinne auch dann vor, wenn ein psychisch oder geistig behinderter Mensch zwar bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens der Hilfe nicht unmittelbar bedarf, er diese Verrichtungen aber infolge einer Antriebsschwäche ohne ständige Überwachung nicht vornähme. Die ständige Bereitschaft ist z. B. anzunehmen, wenn Hilfe häufig und plötzlich wegen akuter Lebensgefahr notwendig ist (Buchst. c). Der Umfang der notwendigen Hilfe bei den häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen muss erheblich sein. Dies ist der Fall, wenn die Hilfe dauernd für zahlreiche Verrichtungen, die häufig und regelmäßig wiederkehrend benötigt wird. Einzelne Verrichtungen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und im täglichen Lebensablauf wiederholt vorgenommen werden, genügen nicht (z. B. Hilfe beim Anziehen einzelner Bekleidungsstücke, notwendige Begleitung bei Reisen und Spaziergängen, Hilfe im Straßenverkehr, einfache Wund- oder Heilleistung). Verrichtungen, die mit der Pflege der Person nicht unmittelbar zusammenhängen (z. B. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung) müssen außer Betracht bleiben (Buchst. d). Bei einer Reihe schwerer Behinderungen, die aufgrund ihrer Art und besonderen Auswirkungen regelhaft Hilfeleistungen in erheblichem Umfang erfordern, kann im Allgemeinen ohne nähere Prüfung angenommen werden, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen von Hilflosigkeit erfüllt sind (Buchst. e). Dies gilt stets bei Blindheit und hochgradiger Sehbehinderung (Buchst. e aa) und Querschnittslähmung und anderen Behinderungen, die auf Dauer und ständig – auch innerhalb des Wohnraums – die Benutzung eines Rollstuhls erfordern (Buchst. e bb) sowie in der Regel auch (Buchst. f aa) bei Hirnschäden, Anfallsleiden, geistiger Behinderung und Psychosen, wenn diese Behinderungen allein einen GdS von 100 bedingen oder Verlust von zwei oder mehr Gliedmaßen, ausgenommen Unterschenkel- oder Fußamputation beiderseits (Buchst. f bb).
Unabhängig davon, dass auch nach diesen Maßstäben bei der Klägerin keine notwendige Hilfestellung für eine Reihe von Verrichtungen besteht, kann aus dem Defizit in der Verstehensleistung im beruflichen Umfeld nicht abgeleitet werden, dass der Hilfebedarf in diesem einen Punkt die gesamte Lebensführung prägt (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 – B 9 SB 4/02 R –, juris, Rz. 15), wie das SG zutreffend dargelegt hat. Daneben hat das SG bereits darauf hingewiesen, dass die geklagten Schwindelbeschwerden zu keinem Zeitpunkt entscheidend für die Zuerkennung des Merkzeichens gewesen sind, wobei M eine organische Ursache hierfür hat ausschließen können und B zuletzt unter der Frenzelbrille ebenfalls keinen pathologischen Befund beschrieben hat.
Der Umstand, dass der Klägerin dennoch das Merkzeichen „H“ auf den Erstantrag im fünften Lebensjahr zuerkannt werden konnte, ist der in den VG (zu deren Anwendbarkeit vgl. oben) berücksichtigten Erkenntnis geschuldet, dass bei der Beurteilung von Kindern und Jugendlichen nicht nur die bei der Hilflosigkeit genannten Verrichtungen zu beachten sind, sondern auch die Anleitung zu diesen „Verrichtungen“, die Förderung der körperlich und geistigen Entwicklung sowie die notwendige Überwachung zu diesen Hilfeleistungen gehören, die für die Frage der Hilflosigkeit von Bedeutung sind (vgl. VG, Teil A, Nr. 5a). Die Besonderheiten des Kindesalters führen dazu, dass zwischen dem Ausmaß der Behinderung und dem Umfang der wegen der Behinderung erforderlichen Hilfeleistungen nicht immer eine Korrelation bestehen muss, sodass – anders als bei Erwachsenen – auch schon bei niedrigerem GdS Hilflosigkeit vorliegen kann (vgl. VG, Teil A, Nr. 5c). Deshalb ist bei angeborenen oder im Kindesalter aufgetretenen Behinderungen zu beachten, dass bei Taubheit und an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit Hilflosigkeit ab Beginn der Frühförderung und dann – insbesondere wegen des in dieser Zeit erhöhten Kommunikationsbedarfs – in der Regel bis zur Beendigung der Ausbildung anzunehmen ist. Zur Ausbildung zählen in diesem Zusammenhang der Schul-, Fachholschul- und Hochschulbesuch, eine berufliche Erstausbildung und Weiterbildung sowie vergleichbare Maßnahmen der beruflichen Bildung (vgl. VG, Teil A, Nr. 5d ee).
Das Kommunikationsdefizit der vor Spracherwerb Ertaubten prägt deren gesamte Lebensführung aber regelmäßig nur bis zum Ablauf einer ersten Berufsausbildung, mithin in der von Lernen, Kenntnis- und Fähigkeitserwerb geprägten Lebensspanne. Dabei muss sich die Frage des fremden Hilfebedarfs auf alle Bereich des täglichen Lebens erstrecken, da die Eingliederung in die Gesellschaft das Ziel des Schwerbehindertenrechts ist. Dabei ist davon auszugehen, dass der die Hilflosigkeit begründende erhebliche Mehraufwand kennzeichnend für die Lebensspanne ist, in der Lernen, Kenntnis- und Fähigkeitserwerb zu den zentralen Verrichtungen des täglichen Lebens gehören. In dieser Lebensphase bewirkt der durch die Sprachstörung vermittelte Kommunikationsmangel eine Hilfsbedürftigkeit von erheblichem Umfang, deren Ausmaß jedoch in Anbetracht des bedeutenden Kommunikationsdefizits nicht schematisch festgelegt werden kann. Aus dem geschilderten Kommunikationsdefizit darf indessen nicht generell der Schluss gezogen werden, dass ein gehörloser Mensch lebenslang hilflos ist. Das ist er nämlich nur dann, wenn sich das Kommunikationsdefizit wegen der ständigen Anpassung des beruflichen Könnens und Wissens während des Berufslebens prägend auf die Lebensführung auswirkt. So kann eine erneute Hilflosigkeit bei einer langzeitigen beruflichen Weiterbildung, Minderbegabung oder geistigen Behinderung bzw. zusätzlichen Gesundheitsstörungen vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 – B 9 SB 4/02 R –, juris, Rz. 17 ff.). Zu den zentralen Verrichtungen des täglichen Lebens eines Arbeitnehmers gehört aber regelmäßig nicht die Anpassung und Erweiterung seiner beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern zunächst vorrangig die Verrichtung von Arbeit im erlernten Beruf. Weiter kann nicht regelmäßig davon ausgegangen werden, dass der Gehörlose nach Abschluss der Erstausbildung im nichtberuflichen Bereich, also in der gesamten Lebensführung, weiter hilflos ist Sinne des EStG ist, wenn er in dem einem Gehörlosen möglichen Umfang Lesen und Schreiben gelernt hat (vgl. BSG, Urteil vom 12. November 1996 – 9 RVs 9/95 – juris, Rz. 12 f.).
Die Annahme einer lebenslangen Kommunikationsstörung kommt nur in Betracht, wenn der Gehörlose wegen Minderbegabung, einer geistigen Behinderung oder einer zusätzlichen Gesundheitsstörung nicht in Lage ist, das Mindestmaß an Verständigungsmöglichkeiten mit der höheren Umwelt zu erlernen, dass bei einem erfolgreichen Besuch einer Gehörlosenschule vermittelt wird. Der Abschluss einer berufsqualifizierenden Ausbildung markiert insoweit, gleichgültig in welchem Lebensalter er erreicht wird und gleichgültig, ob es sich um eine Lehre, ein Fachhochschul- oder ein Hochschulstudium handelt, das Ende der seit „Beginn der Frühförderung“ bestehenden Hilflosigkeit. Von diesem Zeitpunkt an lässt sich Hilflosigkeit nicht mehr allgemein annehmen, sondern nur noch aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall feststellen. Durch den erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung zeigt ein Gehörloser, dass er die erworbenen Verständigungsmöglichkeiten in einem wichtigen Lebensbereich zu nutzen versteht. Damit ist es regelmäßig ausgeschlossen, seine Behinderung als prägend für die gesamte Lebensführung und damit ihn selbst als hilflos im Sinne des EStG anzusehen (vgl. BSG, Urteil vom 12. November 1996 – 9 RVs 9/95 –, juris, Rz. 14).
Bereits aus Sinn und Zweck der – erweiternden – Vorschriften der VG ergibt sich, dass die Klägerin deren Anwendungsbereich nicht mehr unterfällt, nachdem sie sich nicht mehr im Kindes- und Jugendalter befindet, sondern bei Abschluss des Medizinstudiums bereits 36 Jahre alt gewesen ist. Daneben muss berücksichtigt werden, dass bei ihr nur geringgradige Störungen in der Sprachentwicklung bestehen, wie der Senat der ärztlichen Bescheinigung der L aus dem Verfahren L 6 SB 521/18 entnimmt, die er im Wege des Urkundsbeweises (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]) verwertet. Diese war uneingeschränkt verwertbar, nachdem die Klägerin sie selbst in der nichtöffentlichen Sitzung bei der damaligen Berichterstatterin des Senats übergeben und damit selbst in das Verfahren eingeführt hat. Wenn sie nunmehr über ein Verwertungsverbot spekuliert, ist dies fernliegend und bestehen hierfür keinerlei Anhaltspunkte. Die Darlegungen der L werden dadurch plausibilisiert, dass das SG ausgeführt hat, dass eine hinreichende Verständigungsmöglichkeit mit der Klägerin in der mündlichen Verhandlung bestanden hat, was an dem Umfang der von ihr protokollierten Angaben deutlich wird. Weiterhin ist in Rechnung zu stellen, dass die Klägerin ein anspruchsvolles Studium erfolgreich abgeschlossen hat, sodass sie die erlernten Verständigungsmöglichkeiten in einem wichtigen Lebensbereich nutzen kann und deshalb keine Hilflosigkeit mehr besteht. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sie nicht in einem für Gehörlose möglichen Umfang lesen und schreiben gelernt hat, ersichtlich nicht. Gleiches gilt dafür, dass bei ihr weder eine Minderbegabung, noch eine geistige Behinderung oder eine sonstige Gesundheitsstörung besteht, die sie am Erlernen eines Mindestmaßes an Verständigungsmöglichen hindern würde. Der erfolgreiche Abschluss des anspruchsvollen Studiums belegt das Gegenteil. Soweit die Klägerin darüber hinaus glauben machen will, während des Studiums nur eine theoretische, aber keine praktische Ausbildung erhalten zu haben, überzeugt dies nicht. Vielmehr regelt die Approbationsordnung für Ärzte in § 1 Abs. 1, dass die Ausbildung auch praktische Erfahrungen im Umgang mit Patienten, einschließlich der fächerübergreifenden Betrachtungsweise von Krankheiten und der Fähigkeit, die Behandlung zu koordinieren, umfassen soll. § 1 Abs. 2 sieht deshalb ein praktisches Jahr (Nr. 1), einen Krankenpflegedienst von drei Monaten (Nr. 3) und eine Famulatur von vier Monaten (Nr. 4) vor. Dass die Klägerin nach Abschluss des Studiums und der Approbation als Medizinerin arbeiten kann, hat das SG bereits ausführlich dargelegt. Die berufsqualifizierende Ausbildung ist damit abgeschlossen, wenngleich die Klägerin eine weitere Qualifizierung mit Erlangung des Facharzttitels anstrebt.
Der Gesetz- und Verordnungsgeber hat seinen ihm zukommenden Gestaltungsspielraum dahingehend genutzt, dass er über die Vorschriften der VG die Zuerkennung des Merkzeichens „H“ bei vor Spracherwerb Ertaubten aufgrund des bestehenden Kommunikationsdefizits vom Beginn der Frühförderung an bis zum Abschluss der ersten berufsqualifizierenden Ausbildung als zum Nachteilsausgleich bei der Integration in das Berufsleben gerechtfertigt angesehen hat. Zur Überzeugung des Senats hat er damit seinen weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung des Nachteilsausgleichs weder über- noch unterschritten (vgl. zum Gestaltungsspielraum bei Sozialleistungen, auch unter Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention, allgemein: Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Nichtannahmebeschluss vom 5. März 2018 – 1 BvR 2926/14 –, juris, Rz. 23). Dabei ist die Intention in Rechnung zu stellen, für einen begrenzten Zeitraum einen Nachteilsausgleich zu gewähren, dessen Ende die berufliche Erstausbildung markiert. Es erweist sich als sachgerechte Differenzierung, im Regelfall davon auszugehen, dass der erfolgreiche Abschluss – wie im Falle der Klägerin eines Hochschulstudiums – belegt, dass der Gehörlose die erworbenen Verständigungsmöglichkeiten in einem wichtigen Lebensbereich zu nutzen versteht und die Behinderung damit nicht mehr prägend für die gesamte Lebensführung ist. Dass in begründeten Ausnahmefällen (vgl. oben) etwas anderes gelten kann, ist nicht entscheidungserheblich, da keiner dieser Fälle auf die Klägerin zutrifft, wie bereits dargelegt.
Der Abschluss der Erstausbildung als regelhaftes Differenzierungskriterium findet sich auch außerhalb des Schwerbehindertenrechts, beispielsweise bei der Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG – vgl. hierzu beispielsweise: Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 2. Februar 1989 – 5 C 2.86 –, juris, Rz. 10) oder bei der Gewährung von Kindergeld. Hinsichtlich letzterem wird in der Rechtsprechung im Übrigen auch davon ausgegangen, dass bei den zur Facharztqualifikation durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen die zuvor durch die ärztliche Prüfung erlangte Qualifikation als Arzt bereits eingesetzt wird und deshalb – anders als bei dem juristischen Vorbereitungsdienst – der Erwerbscharakter im Vordergrund steht, mithin keine kindergeldberechtigende Ausbildung mehr besteht (vgl. Bundesfinanzhof [BFH], Urteil vom 22. September 2022 – III R 40/21 – juris, Rz. 13 ff.).
Die von der Klägerin beschriebenen Schwierigkeiten bei Visiten, im Operationssaal und bei Arztbesprechungen sind nicht mit dem Kenntnis- und Fähigkeitserwerb im Rahmen der Ausbildung verbunden, den die VG gesondert berücksichtigen, sondern werden sich dauerhaft und unabhängig von dem Erreichen der Facharztqualifikation stellen. Hierfür hat der Gesetz- und Verordnungsgeber aber keinen Nachteilsausgleich über die Zuerkennung des Merkzeichens „H“ vorgesehen. Unabhängig davon, dass es der Klägerin durch technische Hilfsmittel durchaus möglich ist zu hören, unterfällt sie ferner dem Schutz des Schwerbehindertenrechts, da sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen weiterhin die Voraussetzungen für einen GdB von 100 erfüllt und das Merkzeichen „Gl“ weiter festgestellt ist. Insbesondere die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft bewirkt einen verstärkten Schutz und die Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Vergünstigungen im Berufsleben. Der Verweis der Klägerin auf eine Beeinträchtigung der Berufsfreiheit (Art. 12 Grundgesetz [GG]) geht deshalb fehl, da der Gesetz- und Verordnungsgeber dem Umstand der besonderen Schutzbedürftigkeit von im Hörvermögen beeinträchtigten Personen, wie der Klägerin, Rechnung getragen und diese dem Schutz des Schwerbehindertenrechts unterstellt hat.
Aus der UN-Behindertenrechtskonvention folgt schon deshalb nichts anderes, da diese keinen Anspruch auf eine bestimmte Art der Berücksichtigung von Behinderungen vermittelt und selbst keine Rechtsgrundlage für Leistungsansprüche bildet (vgl. BSG, Urteil vom 6. März 2012 – B 1 KR 10/11 R –, juris, Rz. 18).
Das SG hat die Klage daher zu Recht abgewiesen, sodass die Berufung zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.